Auch
wenn die ganze Straße von starkem Rosenduft erfüllt ist und der
sanfte Sommerwind die hochgewachsenen Platanen milde hin und her
wiegt, sodass einen das zarte Rascheln und der wohltuende Schatten
des dichten Baldachins in ein Gefühl meditativer Ruhe und Weltzufriedenheit
versetzen könnte, überkommt mich doch nichts als Schwermut und
Trauer, wenn ich vor der alten Villa stehen bleibe, deren oberstes
Stockwerk nun leer steht. Das kräftige Aroma des Flieders strömt
aus den umliegenden Gärten zu mir herüber, während ich zu den
bleichen und unbelebten Fenstern hinauf blicke, die das Sonnenlicht
so sonderbar reflektieren, als verwehren sie den Einblick, in
eine dahinter verborgene dunkle Welt.
Oh
Sonnenlicht du Widerspruch der heilen Welt mit ihren unergründlichsten
Geheimnissen.
Meine Gedanken sind bei dem jungen Paar, das hier zuletzt gewohnt
hatte und dessen plötzliches Verschwinden vor einigen Monaten
seinerzeit so viel Aufsehen in der Gemeinde erregt und zu so vielen
seltsamen Vermutungen Anlass gegeben hatte. Ihrer mysteriösen
Flucht, die sich an einem kühlen Novembermorgen in aller Frühe,
vermutlich um es zu vermeiden unnötige Aufmerksamkeit zu erregen
und in größter Eile vollzog, war eine Zeit vorausgegangen, in
der allerlei sonderbare Beamten in diesem Haus regen Ein- und
Ausgang pflegten. Fast so als stünde das alte Gebäude und dessen
jüngste Bewohner unter staatlicher Aufsicht. Der ungeklärte Verbleib
der jungen Liebenden, war wie bereits erwähnt, maßgeblicher Gesprächsgegenstand
einer Vielzahl von Diskussionen und Debatten, die in der ganzen
Straße geführt wurden, jedoch nach einigen Wochen nachließen und
um, wie das so oft der Fall ist, aktuelleren Themen des Alltags
zu weichen. Doch mir wollte das Schicksal der beiden nicht so
recht aus dem Sinn gehen, waren sie mir im Gemeindeleben doch
nicht zuletzt aufgrund ihrer hilfsbereiten und feinfühligen Art
aufgefallen, sowie der beiden ureigenen Gabe ihren Mitmenschen
aufrichtige Wertschätzung entgegen zu bringen. Deswegen mochte
ich auch keinem der Gespräche Glauben schenken, die unter vorgehaltener
Hand geführt wurden und besagten, dass der junge Mann eine schwere
Schuld auf sich genommen habe und seine Partnerin nun mit ihrer
Unschuld dafür bezahlen müsse. Derartiges Gerede erschien mir
völlig paradox und erweckte außerdem den Eindruck aus absolut
inoffiziellen Quellen zu stammen, sodass ich mich damit auch nicht
mehr weiter beschäftigte und stattdessen meine eigene Theorie
entwarf, die eine, mit Sicherheit recht plausible, wenn auch nicht
unbedingt angenehme Erklärung für die ganze Angelegenheit bereithielt.
Dass
jedoch den skurrilen Gerüchten, die keiner laut auszusprechen
vermochte, etwas wahres anhaftete, musste ich mit Entsetzen feststellen,
nachdem es vergangene Woche zu jenem merkwürdigen Zwischenfall
gekommen war, der mich in diesem Zustand tiefster seelischer Niedergeschlagenheit
zurückließ, von dem ich mich seither nicht mehr erholt habe. …